Mitternacht. Hungergefühle statt Schlaf. Susanne schleicht zu einem Würstelstand beim Praterstern. Der ist immer offen. Ein Buch mitnehmen. Man kann immer in einem Buch lesen, wenn man seine Ruhe haben will. Sie erwischt den „West-Östlichen Diwan“.
Keine Sterne am Himmel. Düstere Gestalten an allen Ecken. Die Hütte des Würstlstandls ist hell erleuchtet. Der Verkäufer wie ein göttlicher Abgesandter, Helfer in der Nacht.
„Eine Bratwurst bitte!“
Dafür reicht Susannes Bargeld gerade. Sie knallt ihr Buch auf die von Salz und Semmelbröseln verunstaltete Budel. Der Würstlmann schaut neugierig auf das Buch und wendet sich dann den Würsten auf dem heißen Blech zu. Es duftet geradezu himmlisch. Verschiedene Sorten brutzeln vor sich hin. Mit einer Zange aus Holz packt er eine Bratwurst auf einen Pappteller.
„Süßen oder Scharfen?“
Achso, Senf. „Scharf.“
Der Würstlmann drückt einen braunen Patzen aus einem Kübel, der das Format eines Abwaschkübels hat. Er legt eine Scheibe Schwarzbrot auf das Ganze.
"Drei Euro fünfzig.“
Er schiebt Susanne den Turm zu. Sie bringt ihr Buch in Sicherheit. Sie zählt das Geld ab, gibt es ihm, schiebt ihren Wurst-Turm um die Ecke. Sie zieht einen Handschuh an, mit der anderen Hand hält sie die warme Wurst und beißt mit Vorfreude hinein.
„Na, auch nix zu essen daheim?“ grinst ein Mann mittleren Alters. Bierbauch, graue Locken, grauer Dreitagebart. Seine Augen glitzern. Eine Käsekrainer verschwindet in riesigen Bissen in seinem Mund. Seine Stimme kommt ihr bekannt vor – nur von wo?
„Stimmt. Vorratshaltung schaff ich nicht.“
Er lacht. Ein rauhes Lachen.
„Geht mir dauernd so. Dabei kann ich alles. Waschen und begeln und-“.
Er sagt begeln, statt bügeln. Wie diese Freundin von der Tante Marie.
„- und kochen, nur Vorräte einkaufen schaff ich nie.“
Er schluckt, greift zu seiner Bierdose. Stiegl.
„Ich nehme auch ein Bier, bitte“, sagt Susanne zu dem Würstlmann. Wie sagt man zu so jemand? Herr Wirt? Würstl-König, wie auf seinem Schild steht?
„Ein Tribut an meine Frau“, der Käsekrainer-Esser steckt sich das letzte Zipfel Wurst in den Mund. „Sie war perfekt. Ist vor drei Monaten gestorben.“
„Tut mir leid“, murmelt Susanne.
Er hebt seine Bierdose.
„Prost!“
Susanne hat den Dosenverschluss abgerissen in der Hand, ohne dass die Dose offen wäre. Sie schaut zum Würstlmann, der gibt ihr kommentarlos eine neue Dose. Jetzt hat sie beim Aufmachen Bierschaum überall. Die Einsamkeit webt Fäden zwischen ihnen. Dass zwei Menschen sich näher kommen könnten.
Sie fragt: „Und was machen Sie sonst?“
„Ich hab einen tollen Job gehabt.“
Er wischt sich die Hände an einer Serviette ab. Streckt Susanne seine Rechte hin.
„Thomas Engel. Ehemals Manager in einem Internet-Swingerclub.“
„Susanne. Oder Sue. Wie Sie wollen.“
„Ich hab feudal gelebt“, sagt Thomas Engel. „Für ein paar Monate. Bis die Firma den Bach runtergegangen ist. Wissen’S eh.“
„Ja.“
„Also bin ich wieder Rausschmeißer in derselben Bar, wie vorher jahrelang. Jetzt hat mich mein Nachfolger gekündigt. Der Russe hat die Bar gekauft. Der will seine eigenen Leut als Türsteher.“
Der Mann schüttet sich aus vor Lachen. Es klingt verkrampft. Seine verrauchte Stimme schießt von Susannes Ohren direkt in den Rest ihres Körpers. Vibrationen verteilen sich prickelnd in ihrem Bauch, in ihrem Herz.
Sie trinken. Zwei Jugendliche kommen, verlangen jeder ein Red Bull. Sie rennen weg ohne zu bezahlen. Der Würstlmann schimpft, gibt aber die Verfolgung schnell auf.
„Man müsste sich rächen.“ Thomas Engel zerknüllt die leere Bierdose in seiner Hand. Das Blech wird unter seiner Hand flach wie eine Münze.
„Das wär ein Geschäft. Revenge Incorporated. Rache und Co. KG.“
Engel zieht eine Braue hoch. Das Glitzern seiner Augen wirkt wie eine belebende Droge.
„Natürlich höchste Geheimhaltung.“
„Natürlich.“
„Sue, Agentin für hoffnungslose Fälle am Arbeitsplatz.“
„Tom, auf geheimer Mission gegen die nervtötende Arbeitswelt.“
Thomas Engel verlangt Bier-Nachschub. „Ich darf Sie einladen?“
Susanne stellt sich etwas breitbeiniger hin. Sie prosten sich zu. Der Würstlmann rettet sich vor einen Mini-Fernseher.
„Was arbeiten Sie?“
„Gar nichts.“
„Achso?“
„Ja, ich war – auch in der Internetbranche.“
„Vielleicht hör ich einmal was von einem Job für Sie!“
„Wir sehen uns ja vielleicht wieder bei Hunger.“
Was kann der mir schon für einen Job verschaffen, denkt Susanne.
„Also dann, schönen Abend noch.“ Der Käsekrainer-Bauch geht. Beim Gehen versucht er seinen Hosenbund höher zu ziehen.
Special Agent Sue. Worte wie Geheimdienstanschlag und unerkanntes Mordkomplott gehen Susanne am Heimweg durch den Kopf. Sie sieht sich unverwundbar im Kreis illustrer Verschwörer. Schwarze Gestalten, die im Dunkel der Nacht agieren. Ein Rächerspiel, in dem endlich die richtigen Figuren vom Brett fallen. Umsonst hat sie ihren Weg nicht angetreten. Der mit dem Fernsehauftritt begonnen hat.
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